Verdachtsautist vs #selfdxisvalid

Schon als Kind war ich mit meinen Eltern bei Ärzten vorstellig. Ich fiel irgendwie auf und die Fachleute sollten ergründen, wo das Problem liegt. Einige dieser Fachleute waren vollends überfordert. Andere fanden durch ihre direkte Art sofort Zugang. Man schickte mich, ohne echte Diagnose, zur Ergotherapie. Dort wiederholte sich alles. Manche Therapeuten fanden Zugang, andere kamen gar nicht mit mir zurecht. Mal saß ich eine komplette Stunde am Fenster und wartete abgeholt zu werden. Ein anderes Mal wollte ich mit der Ergotherapeutin nur Fußball spielen. Nie wollte ich in eine Kleingruppe integriert werden. Neben den in den 90ern noch weit verbreiteten Tipps zur Gewaltanwendung und dem damit verbundenen Vorwurf an meine Eltern, völlig falsch zu erziehen, gab es auch die Idee, uns nach Osnabrück zu schicken, um mich medikamentös einstellen zu lassen. Meine Eltern brachen darauf alles ab. Dafür bin ich, trotz aller Widrigkeiten in der Schulzeit und auch danach, dankbar. Medikamente hätten mich ruhig gestellt, sie hätten kein Problem gelöst.

Im Frühjahr 2016 bestellte mich das Jobcenter zur Begutachtung ins Gesundheitsamt. Zwei Jahrzehnte nach den Untersuchungen in der Kindheit kam der entscheidende Impuls. Aufgrund meiner Arbeitslosigkeit blieb mir keine Wahl. Ich machte Notizen. Knapp 1 1/2 Seiten mit all meinen Problemen, die ich beim Termin mit dem Amtsarzt vortragen wollte. Er lehnte das ab. Ich solle frei sprechen, das war ihm lieber. Meine Mühe erkannte er dennoch an und nahm den Zettel mit. Er schlug einen weiteren Termin am Montag vor. Es war Freitag. Erneut stand ich vor der Wahl: Probleme mit dem Jobcenter und damit eine Kürzung der Sozialleistungen oder in den sauren Apfel beißen (Metapher) und die Strapazen am Montag nochmal auf mich nehmen.

Nach dem Wochenende also wieder in die Stadt zum Gesundheitsamt. Kaum angekommen, fragte mich der Amtsarzt, ob ich einen Test am PC machen würde. Ich bejahte und er erläuterte mir, dass es um Autismus ginge. Kurzum: Der Test erhärtete seinen Verdacht und er gab mir Adressen an die Hand, wo ich mich zwecks Diagnostik melden solle. Fortan beschäftigte ich mich mit dem Thema Autismus.

Vor ein paar Monaten, wir springen ins Jahr 2018, las ich bei Twitter erstmals von selbstdiagnostizierten Autisten. Ich war überrascht. Wie und warum diagnostiziert man sich selber? Die Antworten bekam ich geliefert. Es gibt im Internet Tests (ja, habe ich auch gemacht). Außerdem findet man dort Symptome. Zu guter Letzt sind im weltweiten Netz unzählige Autisten unterwegs und es findet sich garantiert jemand, dem man ziemlich ähnelt. Die erste Frage war damit geklärt, aber das „Warum?“ noch nicht. An der Stelle wurde es kurios.

Zunächst sind die Diagnosestellen für Erwachsene wie Oasen in der Wüste. Speziell im Bereich Autismus stellt eine lange Anreise, ggf. mit ÖPNV, in unbekannte Gefilde ein Problem dar. Dem pflichte ich bei, musste ich beispielsweise nach Hannover oder Dortmund fahren. Dortmund hatte für mich mehrere Vorteile. Zum Einen kenne ich die Stadt als großer Fan des Ballspielvereins Borussia. Zum Anderen bot die LWL-Klinik als bevorzugte Kontaktaufnahmeart die E-Mail an. Diese Faktoren erleichterten mir die Entscheidung. Die lange Fahrt blieb aber eine große Belastung. Am Ende fuhr ich mit dem ICE/IC. Das ersparte zwar kaum Zeit und kostete zusätzliches Geld, der geringere Fahrgastwechsel machte es für mich aber erträglicher. Dieses Glück haben aber nicht alle Menschen. Die Hürden für die Kontaktaufnahme und die Reise sind dementsprechend hoch.

Als weiterer Grund für das „Warum?“ wurde die mangelnde Qualität von Fachärzten angebracht. Die meisten Ärzte hätten kaum Ahnung und es käme zu vielen Fehl(nicht)diagnosen. Man kompensiere so gut, dass man am Ende eh ohne Diagnose gehe und das, obwohl man jeglichem Klischee der Autisten entspräche. Die Tests sind eindeutig, die Symptome passen und dann noch die Gemeinsamkeiten mit all den anderen Autisten. Wozu braucht man also einen Arzt?

Das krasseste und entlarvendste Argument war aus meiner Sicht aber ein anderes: Man wisse doch, dass man Autist sei und wozu brauche man dann ein offizielles Schreiben?

Wozu man das braucht? Kommen wir doch einfach wieder zurück zu meiner persönlichen Situation. Nachdem ich noch ein paar Tage brauchte, schrieb ich der Klinik in Dortmund eine Mail und bat um Diagnostiktermine. Ich hatte keine Wahl. Ohne irgendeine Erklärung für meine Probleme, gerate ich in Schwierigkeiten mit dem Amt, das für meinen Lebensunterhalt aufkommt. Dafür brauchte ich eine Diagnose (nicht zwangsläufig die Autismusdiagnose). Wer diese Probleme nicht hat und sogar arbeiten gehen kann, ohne je einen Arzt aufsuchen zu müssen, der muss auch nicht mit der Diagnose Autismus hausieren. Ich will nicht ausschließen, dass es Autisten gibt, die den Arbeitsalltag völlig problemlos bewältigen. Aber was hätten sie davon, sich so zu bezeichnen? Nachteilsausgleiche gibt es nur mit offizieller Diagnose. Eine Selbstdiagnose reicht dafür nicht. Zumal sich die Frage anschließt, wie jemand ohne medizinische Ausbildung eine Diagnose aussprechen kann, die er studierten Fachleuten nicht zugesteht. Das ist völlig absurd.

Ohne Frage: Wir müssen die Diagnostik kritisieren, um sie zu verbessern. Das ist wichtig. Auch an dieser Stelle müssen wir über barrierefreie/-arme Kommunikationswege diskutieren, wie sie in Dortmund vorbildlich umgesetzt wurden. Auch muss das Angebot an Diagnosestellen und Therapieeinrichtungen ausgebaut werden. Das sind richtige Punkte. Die Diagnose müssen aber Fachleute durchführen.

Ja, eine Diagnose wird nie unfehlbar sein. Eine Selbstdiagnose schon gar nicht.

Damit hier keine Missverständnisse aufkommen. Mir geht es um die Menschen, die zu wissen glauben, dass sie Autisten sind und deshalb auch als solche auftreten, ohne vom Facharzt diagnostiziert zu sein. Verdachtsautisten, also Leute die von sich denken, sie könnten Autist sein, waren wir alle mal. Ohne Verdacht keine Diagnose. Fachärztlich diagnostizierte Autisten werden euch gerne eure Fragen beantworten. In dem Begriff sehe ich auch keine Abwertung, was von Selbstdiagnostizierten gerne als Argument gewählt wird (wir „zertifizierten“ Autisten würden uns, ganz elitär, abschotten). Verdachtsautisten werden ganz normal behandelt und wer die Diagnose erhält, war schon vorher Autist. Manch einer ahnte das womöglich bereits. Sicher wissen kann man es aber nicht, ohne andere Ursachen ausgeschlossen zu haben. Dafür sind die wenigsten Menschen ausgebildet. Die, die es sind, nennt man Ärzte. Ich zweifel übrigens trotz der Diagnose einer Fachklinik immer mal wieder daran Autist zu sein. Daher verstehe ich umso weniger, woher man ohne Diagnose die Selbstsicherheit nimmt.

Was ich und viele andere Autisten nicht wollen:

Selbstdiagnostizierte Autisten, die sich schlicht „Autist“ nennen und dann im Namen aller Autisten auftreten. Diese Leute lassen eine wichtige Information weg. Das birgt die Gefahr, dass falsche Informationen über Autismus in die Welt gesetzt werden und dass Autismus als eine Mode gesehen wird, weil man sich das ja selbst diagnostizieren könne. Damit schaden sie uns Autisten und sich selbst. Es ist schon schwer genug, neurotypischen Menschen die Behinderung Autismus zu vermitteln. Für #selfDXisvalid fehlt mir daher jegliches Verständnis. Nennt euch wenigstens Verdachtsautisten.

18 Kommentare zu „Verdachtsautist vs #selfdxisvalid

  1. Danke für Deinen wertschätzenden Umgang mit dem Thema.
    Dennoch finde ich es bedauerlich, dass bei Dir nicht angekommen ist, dass für Menschen mit Leidensdruck und krassen Interaktionsproblemen, sowie depressiven Episoden, selfdx überlebenswichtig sein kann. Vor die Wahl gestellt, ob ich zertifizierten Autisten’innen schade oder mein Leben rette, entscheide ich egozentrisch.

    Zum quantitativen Mangel an Diagnosestellen kommt hinzu, dass keine qualifizierte Diagnoseperson die Diagnose vergibt, wenn die Kindheit des anfragenden Menschen nicht mehr zu klären ist und der Blick ins Gesicht bei Einzelgesprächen der Diagnoseperson ausreichend erscheint. Dazu reicht es erlernt zu haben den Mund, aus dem die Informationen kommen, zu fixieren. Eine Ausschlussdiagnose behebt keine Interaktionsproblemen, eine Diagnose öffnet Türen zu Hilfen.

    Nochmals Danke für Deinen Umgang mit dem Thema, weil ich es so oft erlebt habe, dass der Umgang mit Menschen, die um ihr Leben kämpfen, eher schädigend ist. Eine autistische Community, die selfdx-Autisten’innen feindlich begegnet, ist potentiell autisten’innenfeindlich, da es unter den seldx-Menschen auch nichtentdeckte Autisten’innen geben wird.

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  2. Ich möchte darauf auch ehrlich antworten. Am Anfang war ich uneingeschränkt für selfdx, später kamen mir Zweifel, inzwischen sehe ich es differenziert. Zuallererst sollte man nicht vergessen, woher das überhaupt kommt, nämlich, wie die Bezeichnung selfx schon sagt, aus den USA. Hintergrund ist, dass Millionen Amerikaner nicht krankenversichert sind, weil es keine Pflichtversicherung wie bei uns gibt. Sie können sich teure Fachärzte /Diagnostiken schlicht nicht leisten. Selfdx ist also aus der Not entstanden, nicht, weil sie es so besser finden oder weil es Vorteile hätte.

    Du argumentierst als jemand, der sehr stark von der autistischen Grundsymptomatik betroffen ist, und dies auch offen als Schwerbehinderung tituliert. Da gehen die Ansichten und persönlichen Empfindungen innerhalb der autistischen „Community“ (die es defakto nicht gibt) weit auseinander, das hängt davon ab, ob man einen Job hat, einen Voll- oder Teilzeitjob, ob man alleine lebt, in einer betreuten WG, ob man Hartz4/Sozialhilfe bezieht, und manchmal auch nur von der Tagesform, ob der Alltag mit Behördengang und Einkaufen „schrecklich“ war oder ob man einen Tag hatte, wo man die negativen Symptome kaum gespürt hat (positive wären z.b. Kreativität ausleben, Spezialinteressen nachgehen, besondere Wahrnehmung in der Natur, was keinem anderen auffällt, etc.). Es hängt auch davon ab, wann jemand diagnostifiziert wurde, wie lange man im Job ist, was es bedeutet, wenn man das jetzt offiziell macht. Und von all dem hängt ab, ob es sinnvoll ist, aus seinem „ich identifiziere mich als Autist, viele Symptome überschneiden sich, was soll es sonst sein“ ein „Autist mit Diagnose, evtl zzgl Behinderungsgrad“ macht, inklusive der Nachteile bei Versicherungen, auf Jobsuche (Bevorzugung nur auf dem Papier) usw.

    Ich stimme Dir insofern zu, dass man mit selfdx nicht durch Talkshows tingeln sollte, Bücher schreiben und ein Interview nach dem anderen geben. Diagnostik im strengwissenschaftlichen Sinn ist Fachärzten vorbehalten, auch wenn ich hier klar sagen muss, dass ein Studium wenig Aussagekraft hat. In Österreich z.b. gab es bis vor wenigen Jahren, meines Wissens, überhaupt keine Extrastunden im Psychologiestudium zu Autismus. Auch heute soll es noch eher stiefmütterlich behandelt werden. Kein Wunder, dass Fachärzte sich so schlecht auskennen.

    Zwei letzte Anmerkungen:

    Auch Autisten, die fachärztlich diagnostiziert wurden, können sich irren. Ich habe das leider in einem Autismusforum erlebt, wo kategorisch etwas ausgeschlossen wurde, was sich später als wahr herausstellte, und auch auf Twitter, wo es nur richtig und falsch gibt und nichts dazwischen. Eine Diagnose macht einen Autisten nicht automatisch zum Experten, weil Autismus eine so große Bandbreite hat und zudem rein über das Verhalten diagnostiziert wird, nicht über fixe körperliche Symptome.

    Subjektiv am häufigsten verwenden Frauen selfdx. Auch das ist nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass autistische Symptome immer noch überwiegend aus männlicher Sicht betrachtet werden und Frauen damit häufig nicht erkannt oder fehldiagnostiziert werden. Tatsächlich sind viel mehr Frauen betroffen als ursprünglich angenommen. Selbst Simon Baron-Cohen, der mit seiner „Theorie des männlichen Gehirns bei Autismus“ leider viel Schaden für autistische Frauen angerichtet hat, hat inzwischen zugegeben, dass das Verhältnis Mann:Frau nicht 4:1, sondern eher 3:1 ist oder sogar noch weniger. Im Zusammenhang Frau und selfdx fällt mir auch noch auf, dass viele inter/transsexuelle/transgender dies benutzen. Anscheinend tun sich Fachärzte schwer damit, eine psychiatrische Diagnose bei Gender Dysphoria zu stellen und/oder diese werden vom Arzt nicht ernstgenommen.

    In Summe gibt es also einige Gründe, warum selfdx in Verwendung ist, unabhängig davon, ob man das gut findet.

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  3. Ich möchte es noch etwas zuspitzen.

    Zum Nachdenken hat mich vor kurzem eine FB-Diskussion gebracht, in der eine Frau schrieb, sie habe sich selbst diagnostiziert, weil sie so gut funktioniert, dass ihr ein Diagnostiker ihren Autismus sowieso nicht glauben würde. Sie aber hält sich ohne jeden Zweifel für eine Autistin, sie kennt sich gut genug, das beurteilen zu können, hat einschlägige Verhaltensmuster an sich entdeckt und auch ein paar Online-Tests gemacht.

    Es folgte eine Diskussion über die Autismus-Tests, die schnell zu dem führte, auf das ich eigentlich hinaus will. In dieser Diskussion äußerten viele Verdachtsautisten, dass sie sich auch nicht testen lassen wollen aus Sorge, dass sie den Test vielleicht nicht bestehen würden.

    Als ginge es darum, einen Sportbootführerschein oder einen Berufseignungstest zu machen. Als ob man nicht ergebnisoffen in eine medizinische Diagnose gehen sollte und nicht selbige von vorneherein nur als Bestätigung instrumentalisieren sollte für das, was man ja eigentlich immer gewusst hat.

    Ich finde es bisweilen erstaunlich, wie viele Menschen sich offenbar in der sich selbst verordneten Rolle als Autist so wohl fühlen und sich durch Internet-Tests und Diskussionen in den sozialen Medien darin selbst permanent bestätigen. Aber testen lassen wollen sie sich nicht – eben weil sie Angt haben, „durchzufallen“.
    Und es gibt auch reichlich Leute, die sich regelrecht beraten lassen, wie man am sichersten glaubwürdig durch die Tests kommt, um dann dort ein möglichst perfektes Autistenbild abzugeben/vorzuspielen.
    Sicher machen das nicht alle – das will ich nicht unterstellen. Aber viele.

    Es herrscht bei Diagnoseverweigerern offenbar eine erhebliche Sorge, dass diese negativ ausfallen könnte. Was aber wird dann aus ihrem sorgsam aufgebauten und gepflegten Selbstbildnis, der Hülle, der Rolle, in die man sich eingelebt hat, wenn dieser plötzlich die Grundlage entzogen oder sie zumindest in Frage gestellt wurde?

    Was, wenn die Eigendiagnose absolut nicht haltbar ist? Womit rechtfertigt dann ein Verdachtsautist, der gar keiner ist, vor sich selbst seine Eigenarten, Ticks, Phobien, Rituale, Marotten, Exzentrik… die einschlägigen Verhaltensmuster eben?

    …fragt einer, der selbst viel zu lange gezögert hat und erst im fortgeschrittenen Alter zu einer Psychologin und Neurologin gegangen ist und sich hat testen lassen. Um sich genau darüber im Klaren zu sein, was los ist – auch wenn ich ziemlich gut funktioniern kann (meistens) und keinen Schein für irgendwelche Behörden brauche, und ich permanent damit konfrontiert werde, dass mir die Diagnose kaum geglaubt wird.
    Verdacht war mir eben zu wenig – immer. Ich wollte Klarheit.

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    1. Ich wette, vor dem Internetzeitalter hat es die Problematik gar nicht gegeben. Der permanente, alltagsdurchdringende Wunsch nach Selbstbestätigung ist erst durch social media genährt worden. Dass man gerade diese Diagnose unbedingt will, kommt vielleicht aus dem Trugschluss, man müsse sich dann nicht mehr anpassen, nicht mehr selbstkritisch sein. Bei anderen Diagnosen soziopathischer Natur ist das anders. Aber es stimmt nicht, auch als Autist gibt es Bereiche, wo man sich anpassen muss und kann, zum Beispiel Kompromisse statt Sturschädel ;-).

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      1. Fragen wir weiter:

        Wann hat das angefangen, dass man sich chic vorkam, ein von den Medien allzu oft zelebriertes Rollenbild zu übernehmen? Nerdy zu sein, soziophob, skurril?
        Wann wurden solche Personen, egal ob reale oder fiktive, plötzlich mit „Autismus light“ in Verbindung gebracht?
        Wollten nicht plötzlich alle ein wenig sein wie Sheldon und Sherlock? So ein Hauch von Autismus aber nur nicht zu viel?
        Ein wenig exotisch, ein wenig sonderbar, etwas verhaltensauffällig, nicht der Masse entsprechend? Und trotzdem irgendwie genial?

        Wann wurden diese fiktiven Charaktere zu Ikonen des Autismus, zu Referenzbildern, als was sie nie gedacht waren?

        Wann haben Eltern angefangen, Kinder zur Diagnose zu schleppen, nicht weil es wirklich notwendig gewesen wäre, sondern weil sie damit einen Nachteilsausgleich erwirken wollten, der den Kindern tatsächlich weniger Nachteile ausgleichen als Vorteile verschaffen sollte? So ein bisschen Aspie. Besser als LRS, was ja bestimmt später eher bei der Karriere nachteilig wird, wenn es mit auf den Zeugnissen steht…

        Wann wurde es Modediagnose, wann begannen Diagnostiker, genau darum, weil sie Sorge haben, „Modediagnose“ verdächtig zu sein, hochfunktionalen Autisten kaum mehr zu glauben?

        Warum schlägt all das auf die Glaubwürdigkeit jeder Diagnose durch?

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      2. Nicht, dass wir uns missverstehen. Es geht nicht um Eltern, die aus berechtigten Gründen mit ihren Kindern in die Diagnostik einsteigen. Wirklich nicht.

        Es geht um Eltern, und solche gibt es leider auch, die jeden sich bietenden Weg nutzen, im Schulalltag Vorteile für ihre Kinder zu erstreiten. Das sind dann die, die auch anwaltlich und mit Gutachtern gegen Zeugnisnoten vorgehen. Lasst Euch mal erzählen, was südlich von München in den Regelschulen alles passiert, wo Kinder aus Solln oder Grünwald eingeschult sind.
        Da ist man fassungslos, was sich Eltern alles einfallen lassen. Wer das bayerische Schulsystem mit den Übertritt Zeugnissen kennt, weiß, was auf die Kinder zukommt. Und was es heißt, wenn das Zeugnis der dritten Klasse leider nicht gut genug für das Gymnasium ist oder sogar nur für die Hauptschule reicht.
        Da wird, wer’s kann, an jeder Schraube gedreht.

        Und ja – ich kenne aus eigener Erfahrung die Vorwürfe von Lehrern, man habe nur eine Diagnose angestrengt, um im Schulalltag Vorteile für die Kinder rauszuschlagen um ein Übertrittzeugnis für das Gymnasium zu bekommen.

        So was mussten sich alle Eltern anhören in der Grundschule meiner Töchter, die mit was-auch-immer-Ansprüchen auf Nachteilsausgleich ankamen.
        Und nicht nur in dieser Schule.

        Und die Denke kommt auch nicht von ungefähr.

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      3. @Lutz Zur Ehrenrettung der Eltern, die ihre Kinder ‚zur Diagnose schleppen‘ muss ich aber auch sagen, dass das Schulsystem zu unserer Zeit gelassener war und mehr Abweichung von der Norm zugelassen hat. Wenn ich heute so die Stories von Eltern mit schulpflichtigen Kindern höre … ich wäre damals gnadenlos untergegangen und nicht nur beinahe untergegangen mit endgültigem Versinken dann erst nach der 10.
        Dass die Diagnosezahlen steigen, liegt auch daran, dass die Anforderungen an Kinder so weit hochgedreht wurden, dass man mit Problemen nicht mehr einfach unter dem Radar mitsegeln kann.

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      1. Noch ein Wort zu „Modediagnose“ bzw. „Modeerscheinung“

        @ Lutz Prauser

        ich kenne wirklich kaum Eltern, die einer Mode hinterherjagen, wenn sie mit ihrem Kind zur Diagnostik gehen.
        Und Kinder werden in den seltensten Fällen so perfekt konditioniert werden können, dass Diagnostiker dies nicht wahrnehmen würden.

        Und LRS, Legasthenie oder Dyskalkulie wird immer mit überprüft.
        Es gibt überhaupt eine Menge Bögen, die Eltern auszufüllen haben und zusätzlich Gespräche mit dem Kind ohne die Eltern.

        Nachteilsausgleiche gibt es im übrigen auch „nur“ für LRS und dürfen auf dem Zeugnis nicht stehen.
        Ebensowenig wie jedwede Diagnostik.

        Aber ja, der Eindruck der Modediagnose wird GERADE durch die Selbstdiagnostizierten befeuert.

        Nur, dass es schlicht keine Modediagnose ist.

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      2. Doch.
        Auf den Zeugnissen hier steht wörtlich: „Aufgrund einer vorübergehenden Lese- und Rechtschreibschwäche wurden die Leistungen im Lesen und Rechtschreiben zurückhaltend bewertet…“
        Willst Du das nicht, musst Du das verschweigen und wirst ganz normal benotet.

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      3. Bei uns (NRW) darf weder ein Nachteilsausgleich (NTA) noch die Schulbegleitung auf dem Zeugnis stehen.

        Notenschutz muss wohl erst so allgemeingültig werden, dass der Satz nicht mehr im Zeugnis steht/stehen darf.
        (hab grad gegoogelt, dass in Bayern wohl schon Abiturienten vor Gericht diesbzgl. verloren haben – was für ein Unsinn btw !)

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  4. Danke für deinen sachlichen Beitrag in dieser unglückseligen Debatte. Ich finde es greuselig, wie sich in der Diskussion voneinander abgegrenzt wird. Dieses Phänomen habe ich leider schon oft in der Diskussion um Autismus beobachtet. Als wenn es darum ginge, wer der beste Autist ist und wer am meisten Hilfe verdient hat. Und ob Einer Hilfe bekommen darf, der keinen Diagnose- Marathon hinter sich gebracht hat. Zur Selbstdiagnostik: Besonders Frauen haben es schwer, eine Diagnose zu bekommen. Das trifft insbesondere auf die ältere Generation zu. Die Diagnosekriterien richten sich noch immer an männlichen Autisten aus. Das immer wieder in der Diskussion angeführte Argument, selbst diagnostizierte Autisten würden den diagnostizierten Autisten die Hilfen wegnehmen, ist völliger Quatsch. Diese Argumentation ist auf den gleichen Niveau wie die Behauptung , Flüchtlinge würden den Deutschen die Wohnung oder die Arbeit wegnehmen.
    Dein Beitrag hebt sich wohltuend von dieser Art „ Geschrei“ ab. Es wird viele Menschen geben, die den Verdacht haben zum autistischen Spektrum dazu zu gehören. Ob sie eine Diagnostik anstreben, wird auch davon abhängen, ob sie dadurch zusätzliche Unterstützung oder überhaupt Unterstützung bekommen. Und ja, es mag sein dass manche einfach nur um der Selbsterkenntnis Willen in die Diagnostik gehen.
    Ich empfinde die Diskussion auch skurril: wie oft wird bon Autisten betont, dass Autismus keine Krankheit sei. Wenn es keine Krankheit ist braucht man auch keine Diagnose. Aber wir wissen wir ja alle, dass es Hilfe nur dann gibt, wenn man in diesem Hilfe- System mitspielt. Müssten wir eigentlich nicht viel eher gegen dieses Schubladendenken sein? Und kann es uns nicht eigentlich egal sein, wer aufgrund welcher Diagnose oder Behinderung Hilfe bekommt wenn er sie braucht?

    Im übrigen – da eine Diagnose nur von einem Arzt vorgenommen werden kann, ist eine Selbstdiagnose ohnehin nur der Verdacht.

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  5. Zitat leidenschaftlichwydersinnig:
    „Im übrigen – da eine Diagnose nur von einem Arzt vorgenommen werden kann, ist eine Selbstdiagnose ohnehin nur der Verdacht.“
    Und warum wird es dann nicht Verdacht genannt?
    Das ist doch der Punkt um den sich bei der gesamten Diskussion dreht.
    Das die Selbstdiagnostizierer sich voller Inbrunst Autist nennen und wollen, dass diese „Diagnose“ volle Akzeptanz erfährt.
    Und das bitte auch „Außen“, bei Ämtern, Ärzten, Arbeitgebern usw. usf.
    Und diese Selbstdiagnostizierer machen auch „Aufklärung“ über Autismus und beschreiben Dinge als autistisch, die definitiv nicht autistisch sind. Das richtet Schaden an.
    Ich möchte gerne auf diesen Text https://medium.com/@guy.t/you-and-i-are-not-the-same-autism-and-self-diagnosis-8bbc587f2e7d#.t7bgpver7 aufmerksam machen, der das Problem gut beschreibt.

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  6. Ämter werden sich davon wohl kaum beeindrucken lassen. Das erste was die sehen wollen, ist doch die Diagnose. Arbeitgeber. Den Schwerbehindertenausweis, den man auch nur mit Diagnose bekommt.

    Ich kenne den empfohlenen Artikel. Und finde ihn nicht so toll.
    Noch vor 10 Jahren haben sich die Diagnosen ADHS und ASS ausgeschlossen. Der ganze DSM zeigt doch, das es Bewertungen von Verhaltensweisen sind, durch welche die Diagnosekriterien bestimmt sind . Objektiv ist da gar nichts.
    (sehr gut beschrieben bei Tebartz von Elst, Autismus und ADHS). Wünschenswert wäre, von der zweifelhaften Pathologisierung in Zusammenhang mit Hilfen weg zu kommen. Weg von den Schubladen ( Diagnose ), die immer wieder neu umgeräumt ( verändert) werden.
    Ich bin schon lange in der Selbsthilfe aktiv und mir sind diese bösen Selbstdiagnostizierer noch nicht zuhauf begegnet. Dafür leider schon etliche diagnostizierte Autisten, die nur andere Autisten nur akzeptieren, wenn sie eine ähnliche Ausprägung des Spektrums haben. Schadet das nicht auch?
    Und leider auch intolerante, radikale Mütter, die anscheinend kein Interesse daran haben, das Institutionen generell anders mit Kindern umgehen, so lange ihr Sproß gut versorgt wird. Die aber diese Diskussionen wie diese anheizen, vllt. weil sie sich Anerkennung von erwachsenen Autisten wünschen?
    Das Beharren auf Ettikierung verhindert m.E. Inklusion.
    Das extreme Abgrenzen ist ein Weg, der nicht erfolgversprechend ist. Gelassenheit einzelnen Menschen gegenüber, die quasi „ Amtsanmaßung“ begehen, wäre hilfreicher.

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    1. Das Hilfen bestenfalls gegeben werden weil sie von Nöten sind ist doch unstrittig und hier nicht das Thema.

      Arrogante und/oder ignorante AutistInnen die nur welche vom „gleichen Schlag“ dulden sind mindestens so unnötig wie Selbstdiagnostizierte die sich für das Non-Puls-Ultra halten.
      Und Eltern, die sich nur für das eigene Kind und sonst niemanden interessieren ebenfalls.

      Inklusion benötigt im übrigen keinerlei Etikett, weil jeder so angenommen wird, wie er ist.

      Fehlinformationen zu Autismus durch Selbstdiagnostizierte, die Symptome/Verhalten als autistisch deklarieren, welche/s keine/s sind, schaden.
      Und es gibt mehr als einen Bericht aus SHGs, dass Selbstdiagnostizierte Gruppen von AutistInnen gesprengt haben und damit AutistInnen von der Selbsthilfe abgeschnitten haben.

      Die Vermischung von Themen an dieser Stelle ist im übrigen auch nicht hilfreich.

      Das Thema wird im übrigen von Selbstdiagnostizierten immer wieder angeheizt, weil sie ihre Selbstdiagnose als Wahrheit anerkannt haben wollen. Inklusive der von ihnen vorgenommen „Aufklärung.

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